[Garagenvolk]

Natalija Yefimkina | 2020


Ein Mann läuft fluchend durch den Schutt. Viele bunt bemalte Tore in einer sonst trostlosen Einöde.


Filmbild aus Garagenvolk ©Natalija Yefimkina
Filmbild aus Garagenvolk ©Natalija Yefimkina

Man staunt, als sie die Türen aufmachen. Was für viele Deutsche die Schrebergarten sind, scheint für die russische Bevölkerung die Garage zu sein: Alles wird im Inneren ausgebaut und individuell angepasst. Meist sind es hier alternde Männer, die sich diese vier Wände an ihre "Hobby"-Bedürfnisse anpassen. Viele einzelne Lebensschicksale enthüllt der Dokumentarfilm: und damit deren Ideale und Werte. Dabei hält sich die Filmemacherin Natalija Yefimkina in Beurteilungen sanft zurück und so bekommt – auch in ihrem Film – jeder den Raum, den er benötigt.

Da ist der alte sterbende Mann, der einfach nur sein ganzes Leben lang Tunnel graben wollte: Seitdem er jung war, hat er hier, unter seiner Garage, Gänge gegraben und sich so über die Jahre hinweg in die Tiefe gebuddelt. Stolz zeigt er seinem Enkel sein Werk, der die Garage nun von ihm erben und dort einen Partykeller anlegen wird. Da ist der Schrotthändler, der hier ein Lager unterhält und unzufrieden mit seinem Partner ist. „Manchmal ist es schwierig, eine gemeinsame Sprache mit dir zu finden.“ Wie in jeder anderen Nachbarschaft gibt es auch hier zwischen der Harmonie Unstimmigkeiten. Andere Meinungen. Andere Lebens-Bedürfnisse. Und doch sind es aneinander angrenzende und ausgerichtete Lebensentwürfe: Ein Mann hat, abseits jeder artgerechten Haltung, seine persönliche Hühnerzucht, um diese dann beim gemeinsamen Grillen mit den Nachbarn zu schlachten und zu grillen. Auch in der Umgebung zu finden: Ein paar Möchtegern-Soldaten, die Relikte von unterschiedlichen Armeen sammeln und damit in den Ruinen der Umgebung Krieg spielen. Jeder hat andere Dinge, in denen er (s)einen Sinn sieht. Ein kleiner Mann sitzt in seiner doch riesig wirkenden Werkstatt und schaut auf den kritischen Blick im Bildnis von Putin an der Wand. Der Hobby-Funker ruft in die Nacht, ob ihn da draußen irgendwer versteht ... Und ein ehemaliger Sprengmeister, der mittlerweile an Parkinson erkrankt ist, darf zumindest noch hier, in seinem Raum, die Flex auspacken und für die Nachbarn mit einem Fitnessstudio Gerätschaften anfertigen. Im geschlossenen Raum werden Gewichte mit der Spraydose zitternd golden besprüht. 


Filmbild aus Garagenvolk ©Natalija Yefimkina
Filmbild aus Garagenvolk ©Natalija Yefimkina

Langsam tastet man sich in diese eigenständige Welt hinein und wo zunächst noch Lachen oder Unverständnis über die kuriosen Handlungsweisen der Menschen ist, so freundet man sich immer mehr mit dieser Nachbarschaft an. Man bringt Verständnis für den Wunsch nach einem Rückzugsort auf. Die Garagen sind ein persönlicher Raum, in dem es keine Vorschriften gibt, den man so gestalten kann, wie man möchte – um darin so zu leben, wie man möchte. Sei es als Flucht vor dem Alltag, den Familien oder der Gesellschaft. Hier kann jeder tun und lassen, was er möchte und wie er es möchte. Ein kleiner unabhängiger Traum, in dem man sich nicht machtlos den Strukturen anderer ausgeliefert sieht. Autonom. Mit leisen Tönen gelingt es dem Film, mit einer bodenständigen und menschlichen Natürlichkeit zu berühren. Es sind die absurd-kuriosen Begebenheiten, die ganz von alleine, ohne Schnickschnack, emotional wirken.



In Koproduktion mit dem MDR. Eine Zusammenarbeit mit Arte. Der Film feierte am 26.02. seine Weltpremiere auf der Berlinale 2020 in der Sektion Perspektive Deutsches Kino und gewann dort den Heiner-Carow-Preis.


© Tina Waldeck 2020