[ Girl meets Boy ]
Ferdinand Arthuber | Deutschland 2020
Zwischen Anspannung und Spannung
Es beginnt wie ein typischer Arthaus-Film: ein Gedicht von Rilke mit leisen Tönen. Doch die Erwartungen, die damit beim Zuschauer aufgebaut werden, werden auch schnell wieder gebrochen. Im ganzen Film: ein immer währendes Wechselspiel der Gefühle. Genau wie in der Liebe. Auf die sanfte, intellektuelle Musik folgen harte Bässe in einem Club. Hektik, Alkohol und eine Frau, die zur Toilette rennt. Die Bässe werden noch härter und das Gesicht noch blasser. Schnitt auf den nächsten Tag und zu einer Gerichtsverhandlung. Sie sitzt als Angeklagte einem Mann gegenüber. Schmerzensgeld? Kontaktverbot? Man hört das Knistern eines Aktenordners, der durchgesehen wird, während die Kamera ruhig das emotional erstarrten Gesicht der Frau zeigt. Sie soll sich Zeit nehmen. Ablenken. Mal was anderes machen. Gute Ratschläge ihrer Freundin und Anwältin. Vielleicht mal ein Buch lesen?
Na gut, so setzt sie sich mit einem in den Vorraum eines Kinos, wo sie ein Mann anspricht. „Warum so traurig?“ (Im Hintergrund über ihr ein Filmplakat FOTO VON UNS einem Drama aus dem Jahr 2015 ebenfalls von Ferdinand Arthuber.) Sie hat keine Lust auf dumme Sprüche und reagiert genervt. Ein verliebtes Pärchen steht eng umschlungen an der Kasse. Sie deutet gereizt auf die beiden: So was braucht kein Mensch! Oder will er ganz unverbindlich mit ihr was trinken gehen? Sie reißt ihm sein Bier aus der Hand. Schneller Schnitt, schneller Schluck. „Hier, so, erledigt.“ Findet er gut. „Morgen wieder hier?“ Verdutzt blickt sie ihn an. „Hörmal, du bist nicht mein Typ“, erklärt sie ihm. „Gut, du auch nicht meiner“, nimmt er ihr erneut jeden Wind aus den Segeln. Warum nicht einfach mal so treffen. Einfach mal sehen, was passiert. Keine Fragen. Darauf den kleinen Finger ...
Unkonventionelle Treffen. In der Dunkelheit auf einem Dach zündet er eine Himmelslaterne an. Eigentlich sollte diese doch fliegen? Das hat er sich jetzt aber romantischer vorgestellt. Wieder ihr verwirrter Blick, als er die Laterne austritt, seine Sachen nimmt und geht. Er überlegt sich was Besseres. Sie prustet los. Das stetige Auflockern ihrer eingefrorenen Emotionen. Am nächsten Tag bekommt sie wieder eine Nachricht von ihm. In einem Restaurant täuschen sie ein Paar vor. Als die Rechnung kommt, soll sie ihre Jacke nehmen und draußen warten. Er will nur kurz auf die Toilette. Nervös dreht sie sich vor der Tür und schaut immer wieder hinein. Da rennt er von der Seite ins Bild: KOMM. Sie rennen beide schnell weg und lachen wie die Kinder. Die Einstellungen wechseln zwischen ihren beiden ausgelassenen Gesichtern in Nahaufnahme. „Gut, melde dich, wenn dir was einfällt. Oder ich melde mich, mal seh'n.“ Unverbindlichkeiten. Alles offen, alles möglich.
Wie bei einem Theaterstück zwischen gelben Säulen und gelben Luftballons macht er ihr eine Ehe-Szene. „Ach, dein Ex kann also besser zuhören als ich?“ Aggressiv schlägt er vor ihr in die Hand. Sie erschrickt. Stocken, Drucksen und Unsicherheiten. Sich näher kommen. Dem Unbekannten vertrauen. Auch als Zuschauer versucht man, ihn einzuschätzen. Wer, warum und mit welcher Motivation betreibt er dieses Spiel? Ist er die nächste potenzielle Bedrohung für sie? Immer wieder bricht der Film mit der gewohnten Norm und damit den konventionellen Mustern, was Menschen eigentlich zu tun und zu lassen haben. Dagegengesetzt: Feinheiten im Erfühlen des anderen. Sensibilität, die beide brauchen zu scheinen. Nahaufnahmen. Lachen. Spannung. Anspannung. Loslösen der Gefühle.
In Rückblenden werden am Ende die Verhältnisse von Beginn an aufgeschlüsselt und vieles, gerade auch in seiner Motivation, besser verständlich. Dabei lebt der Film bis zu diesem Moment von der Erwartungshaltung des Zuschauers, da sich jede*r selbst Gedanken machen kann, wie die Zusammenhänge wohl sein mögen. Bis zur letzten Minute bleibt das Interesse damit ungebrochen und der Film in seiner Form an wenige Normen gebunden. Im Filmgespräch beim diesjährigen FILMZ – Festival des deutschen Kinos empfiehlt Regisseur Ferdinand Arthuber zum Thema Liebe Niklas Luhmann: Das Ungeplante, Unerwartete ist auch bei diesem das, worin man sich verliebt. Mit den nicht voraussehbaren Ereignissen spielt auch der Film und eröffnet damit dem Zuschauer die Möglichkeit, jenseits durchschnittlicher und gesellschaftlich vorgegebener Maßstäbe eine offene Entwicklung von Emotionen zu beobachten.
© Tina Waldeck 2020