[ Heat Singers ]
Nadia Parfan | Ukraine 2019
Die ukrainische Filmemacherin Nadia Parfan beschäftigt sich in ihrem Debüt-Dokumentarfilm mit der Fernwärme-Firma TeploKomunEnergo, die ein Teil der ukrainischen Wasser- und Abwasserindustrie ist – hier haben die Mitarbeiter*innen, neben ihrer eigentlichen Arbeit, noch einen erfolgreichen Chor gegründet haben, welcher bei vielen kulturellen Veranstaltungen in der Umgebung unterwegs ist. So beginnt der Film mit einem Auftritt im Oblast Iwano-Frankiwsk. In dem firmeneigenen Bus zieht man die eleganten traditionellen ukrainisch bestickte Wyschywanka-Hemden an. Nervöse Gesichter, die schnell noch eine letzte Zigarette vor dem Auftritt rauchen, bevor lokale Volkslieder angestimmt werden.
Szenenwechsel. Rohre in der hohen Fabrikhalle. Eine Atmosphäre wie in einem Tempel oder einer Kirche. Eine Melodie wird mit den schlagenden und klappernden Hämmern gespielt. Vorsichtig, fast liebevoll, werden die Zustände der Rohre überprüft. Metallräder geschliffen. Es wird geflucht, die Stimmung wird zunehmend gereizter und der Ton lauter. Man arbeitet oft für wenig Geld und mit viel mangelhaftem Material. Es dröhnt und schallt. Kabelgewirr. Ein Auto fährt von der Halle weg: diesmal nicht zu einem Auftritt, sondern zu einem Außendienst-Einsatz. Zwei Wohnungen haben keine Heizung. Funkelnde Spinnennetze im Licht der Taschenlampe, als sie im dunklen Keller nach den Problemen schauen. Wasser tritt ein, der Keller ist geflutet. Wieder einprägsame Musik und ein hallendes Klappern. Wenn die Taschenlampe sich immer mehr auf eine Stelle fokussiert, wo der Arbeiter beginnt die Rohre zu flicken, und das Licht kaum ausreicht, um ihn noch zu beleuchten. Doch von der bedrohlichen Dunkelheit geht es im Schnitt direkt in ein helles Büro. Verschiedene Telefone stehen in ihrer Hässlichkeit wunderschön angeordnet, fast wie ein nie still stehendes Stillleben, auf dem Tisch. Jedes Jahr zu Beginn der Heizperiode fallen häufig alte Geräte aus, und so oft wie lecke Rohre die Keller oder Wohnungen fluten, wird das Unternehmen mit panischen oder wütenden Telefonanrufen geflutet. Verständnis und Unverständnis liegt hier nah beieinander, wenn Zahlen nicht verstanden werden und durch den Raum gebrüllt werden. Genervte Blicke der Mitarbeiter im Notfall-Zentrum. Zu viele Anfragen kommen rein. Eine Frau schreit durch den Telefonhörer aufgebracht den Mitarbeiter an: Es ist verdammt, VERDAMMT, kalt bei ihr. Die Mitarbeiterin auf dem Sitz gegenüber kann sich ein Lächeln nicht verkneifen. Seit über einer Woche ruft die Dame nun schon an. Keine Namen herausgeben, sagt ihr Kollege, lieber einfach auflegen bei sowas! Wenn sie sich aufregen will, dann soll sie doch. Achselzucken. Noch schneller geht es halt nicht.
Unterdessen läuft Ivan Vasyliovych durch die ganze Firma, die Fabrikhalle und in die Büros, und trommelt die Mitarbeiter*innen zur Probe zusammen. Leider können nicht alle kommen: erst kommt der Kunde und dann erst der Gesang. Der Chorleiter macht sich vor der versammelten Mannschaft stark für die Leistung des Chores. „Chornobryvtsi“, der „Ringelblumenchor“, benannt nach einem der Volkssymbole der Ukraine, hat den ersten Preis bei einer Veranstaltung gewonnen. Es sorgt nicht für die erwünschten Beifallsstürme und wehmütig blickt die Kamera in seine charismatischen Augen, während im Sound die Geräusche der aufstehenden und den Raum verlassenden Menschen alles andere überlagert. Der Chorleiter zündet sich eine Zigarette an, während er die Urkunde rahmt. Er war für 15 Jahren Direktor dieser Organisation. Aber einmal muss ein Mensch gehen, wenn er nicht rausfliegen oder im Sarg hinausgetragen werden will. Wieviel ist Energie wert? Applaus klingt aus dem Off. Türe knallen zu. Wieder leere Stühle, bevor er selbst den Saal verlässt. Alles ändert sich einmal. Und so singt die Gruppe in der Fabrikhalle für den neuen Direktor. Danke! Kein Applaus. Die Arbeiter gehen zurück an die Arbeit und die Maschinen laufen weiter.
Mit starken Bildern, die oft sowohl visuell als auch akustisch überlagert werden, lässt Nadia Parfan die Bodenständigkeit ihrer Charaktere wirken und bringt mit ihnen das Künstlerische in den Alltag, das dort auch nicht fehlen darf, um der Schwere des Lebens hin und wieder zu entfliehen. Der Film wurde beim Dokumentarfilmfestival Swiss Visions du Réel uraufgeführt und lief im Rahmen des goEast – Festival des Mittel- und Osteuropäischen Films, Wiesbaden.
© Tina Waldeck 2020