[Here we are]

Nir Bergman | Israel, Italien 2020


Auf einem kleinen tragbaren Monitor läuft Charlie Chaplins The Kid (1921) und ein junger Mann (Noam Imber) ist ganz vertieft in das Geschehen. Von ihm unbeachtet streicht die Landschaft an dem fahrenden Zug vorbei: Dafür blickt der ältere Mann an seiner Seite (Shai Avivi) umso aufmerksamer. 


Filmbild aus Here we are ©Nir Bergman | Israel, Italien 2020
Filmbild aus Here we are ©Nir Bergman | Israel, Italien 2020

Ein anderer Passagier setzt sich den beiden gegenüber, aber nur kurz, als dessen Blick auf den beständig vor und zurück wippenden jungen Mann mit Handicap fällt. Aharon packt zusammen und hilft seinem Sohn Uri den Rucksack aufzuziehen. Der junge Mann legt sich die Hand an die Ohren, als quietschend die Türen aufgehen und Lautsprecherdurchsagen dröhnen. Dann fällt sein Blick wieder auf den immer noch laufenden Bildschirm in seinen Händen und er lacht beruhigt, während Aharon ihn liebevoll mit sich durch das Leben zieht.

Akzeptanz und Verständnis für unterschiedliche Bedürfnisse

Vater und Sohn kennen und vertrauen sich. Unbeirrbar in ihrer funktionierenden Einheit fahren sie mit ihren Fahrrädern durch eine kleine Stadt. An einer Bordsteinkante bleibt der junge Mann plötzlich stehen und bekommt Angst, aber Aharon weiß sofort, was das Problem ist und versucht ihn zu beruhigen: Da sind keine Schnecken. Im Gänsemarsch gehen sie hintereinander vorsichtig an der Seite entlang, um keine der nicht anwesenden Schnecken zu berühren. Ein stetiges aufeinander zugehen, um Lösungen finden und die Hürden des Alltags zu bewältigen. 


Filmbild aus Here we are ©Nir Bergman | Israel, Italien 2020
Filmbild aus Here we are ©Nir Bergman | Israel, Italien 2020

Der alltägliche Slapstick einer anderen Realität. Ein stetiges Auf und Ab der Gefühle, harmonisch stabilisiert von Aharon: Allerdings nur so lange, bis die getrennt lebende Mutter von Uri auftaucht und bestimmend versucht, die Abhängigkeit der beiden voneinander zu unterbrechen. Langsam soll sich ihr Sohn darauf vorbereiten, in eine Einrichtung zu gehen, wo er auch ohne seinen Vater leben kann. Doch ist das wirklich das Beste: Auch für den älter werdenden Mann, dessen innige Betreuung des Sohnes im zentralen Fokus seines eigenen Lebens steht? Diesmal selbst emotional gesteuert, beschließt Aharon mit Uri die Flucht.

Fazit

Die Last in der Pflege von Angehörigen, aber auch die Freude in den kleinen Erfolgen einer ständigen eingeübten Alltags-Routine, ist deutlich zu spüren. Das Drama ist einfühlsam und doch beschwingt von Nir Bergman, einem der wichtigsten zeitgemäßen israelischen Film- und Fernsehschaffenden, inszeniert worden: ganz im Sinne von Charlie Chaplin, immer mit einem weinenden und doch lachenden Auge. Zu erwähnen ist auch Drehbuchautorin Dana Idisis, welche nicht nur hier für das soziale Thema verantwortlich war: Auch bei der Serie »On the Spectrum«, die sich mit einer autistischen WG und deren Schwierigkeiten im Alltag auseinandersetzt, werden erfreulich intime Begegnungen zu Menschen mit Beeinträchtigungen möglich. Wichtige Fragmente für eine bewusste Integration.



»Here we are« lief auf dem jüdischen Filmfestival Berlin & Brandenburg 2021 in der Sektion Wettbewerb Spielfilm.


© Tina Waldeck 2021