[ Namo ]

Nader Saeivar | Deutschland 2020


Gedämpfte Musik. Das Zwitschern der Vögel, während im Hintergrund eine Alarmanlage fiept. Ein hagerer Mann geht über die Straße und grüßt den Inhaber eines Kioskes. Im Inneren wird über die Frische der Ware diskutiert, während die Kamera außen an der Straße verweilt. Der Sohn des Inhabers, Afshin, vergrault die Kundschaft. Er ist erst seit Kurzem wieder hier und nimmt mittlerweile keine Drogen mehr – er hat ein Attest, das dies bestätigt! Nachdem ein Kunde wütend den Laden verlassen hat, wird drinnen weiter über das Auto an der Straße diskutiert, das mittlerweile schon seit drei Tagen dort parkt. Es macht ihn nervös, – es macht sie alle nervös! Wann wird es endlich verschwinden? In einer kleinen Ortschaft fällt so etwas auf. Helikopter und Flugzeuge fliegen über sie hinweg. Militärbedarf wird dort oben transportiert, während sie unten Tomaten kaufen. Jeder macht sich Gedanken, denn alle Bewohner haben hier ein kleines Geheimnis, das behütet werden möchte.

Die Kamera bleibt auf dem Hauptcharakter: Mr. Bakhtiar. Vertretungslehrer in der hiesigen Schule, in der Überprüfung für eine feste Anstellung, die er unbedingt haben möchte und finanziell auch braucht. Neu zugezogen und nicht aus der Gegend stammend, noch ein Fremder, der sich erst einleben muss: In der kleinen Wohnung betreut er seinen älteren Vater, der nur noch unter schmerzen laufen kann und früher ein politischer Gefangener war. Die Vergangenheit kann er nicht ändern – und die Zukunft ist ebenfalls ungewiss. Er hat ein Baby, Yashar, und eine Tochter, Rozhin. Seine Frau möchte gerne ihr Studium beenden, wenn das Kleine aus dem gröbsten raus ist.


Filmbild aus Namo ©Nader Saeivar
Filmbild aus Namo ©Nader Saeivar

Schnitt. Er öffnet die Garage, um seine Tochter in die Schule zu fahren. Er legt eine CD mit kurdischer Musik in das Autoradio. Das Mädchen drückt ein Lied nach dem anderen weg, während die beiden aus der Garage hinaus fahren und der Vater noch einmal aussteigt, um diese auch wieder hinter ihnen zu verschließen. Ohne die Tochter bislang auch nur gesehen haben, verharrt die Kamera auf dem Beifahrersitz und blickt aus der Fahrertür auf das parkende Auto auf der anderen Straßenseite. Schon zu Anfang spielt der Film mit der Rolle des Beobachters. Wer spioniert hier eigentlich wen aus? Die einzelnen Personen im Film verschwinden oft aus dem Bild, während der Blick auf den anderen gerichtet bleibt, – so zum Beispiel, wenn der alte Mann seinen Sohn im Raum beim Aufräumen beobachtet, während man diesen als Zuschauer nur hört oder im Anschnitt sieht – und nur erahnen kann, was Mr. Bakhtiar denn nun eigentlich genau tut. Man beobachtet den, der beobachtet. Jeder Tag hat dabei einen ähnlichen und gleichförmigen Rhythmus, aber mit anderen Variationen. So fährt der Hauptcharakter jeden Morgen die Tochter zur Schule, doch immer ändern sich dabei Kleinigkeiten. Selbst die Kamera positioniert sich immer ein wenig anders.


Filmbild aus Namo ©Nader Saeivar
Filmbild aus Namo ©Nader Saeivar
Filmbild aus Namo ©Nader Saeivar
Filmbild aus Namo ©Nader Saeivar

Dass das Leben nicht einfach ist und sich ihnen viele Steine in den Weg legen, auch ohne die Angst vor einer Überwachung im Nacken, bemerkt man ebenfalls. Er und seine Frau sind übernächtigt; gereizt. Nun sind da nicht nur die Unsicherheiten im Inneren ihres Lebens, sondern auch noch die Unsicherheiten außerhalb der Wohnung. Die Probleme häufen sich und die Familie scheint daran genauso zu zerbrechen wie der Zusammenhalt im Dorf.  Abends wird hinter den Vorhängen hinausgespäht, ob das Auto mit den darin verweilenden Männern immer noch steht. 3 Tage vergehen … 4 Tage, 5 Tage … Die Nachbarn rufen zum Gespräch und besprechen, was zu tun ist. Warum steht das Auto dort, wen beobachten sie, wer ist schuld an der Situation? Es muss doch eine vernünftige Lösung gefunden werden: Sie leben ja nicht im Dschungel. Sie einigen sich auf die Sprache, die hier alle verstehen. Doch die Atmosphäre im Dorf lädt sich immer weiter auf. Jeder fühlt sich schuldig. Jeder fühlt sich verfolgt. Bis es tatsächlich knallt.

Fazit

Nie verliert der Film den Blick auf den sozialen Fokus. Die Bodenständigkeit des Alltags, was wirksam inszeniert und doch nicht über-inszeniert ist, mit atmosphärischen Lichtszenarien und Stimmungen, die im Raum bewusst und bedacht positioniert werden. Dabei verharrt die Kamera oft ruhig, während das eigentliche Geschehen außerhalb des Sichtfeldes liegt und nur fragmentarisch nachvollzogen werden kann oder sich erst innerhalb der Wiederholung im Schnitt nach und nach entschlüsselt. Dekonstruktive Ansätze, die die Aufmerksamkeit fordern, ohne zu überfordern. Auch inhaltlich: Die Behaglichkeit und die Zusammengehörigkeit der Bewohner des kleinen Dorfes als eine Fassade, die sich immer mehr mit der Verlorenheit der Menschen im Raum aufzulösen scheint. Eine indirekte Bedrohung reicht, um die Schicksale in dem allgemeinen Unwohlsein nachhaltig zu prägen. Damit enthält der Film auch exzellente gesellschaftliche Zwischentöne für einen beobachtenden Blick des Zuschauers hinein in die Realität. Und am Ende lässt der Regisseur den Hauptcharakter sich nicht nur elegant allen Blicken entziehen, sondern verdeutlicht auch noch mal eindringlich das Gewicht, das auf so manchen Schultern ruht.

Namo (The Alien) lief im Forum der Berlinale 2020, und wurde von der Autorin im Programm der B3 Biennale 2020 gesichtet, wo er passenderweise zu dem Themen-Schwerpunkt "Truth" auserwählt wurde.


© Tina Waldeck 2020