[ Undine ]
Christian Petzold | Deutschland 2020
Sehnsucht nach Berührungen
Für Donald Trump wäre der Saal jetzt trotz Corona ausverkauft gewesen, witzelt Regisseur Christian Petzold zu Beginn im Cinéma Frankfurt bei der "ausverkauften" Vor-Premiere und vor fast leerem Saal. Ihm würde auch die Nähe nichts ausmachen: Christian Petzold hatte den Virus bereits. Nachdem er drei Wochen krank war, wurde er beim heimischen Bäcker von allen bestaunt und musste ganz genau seine Symptome erzählen – und hat sich dabei genauso gefühlt, wie bei den Dreharbeiten letzten Sommer für Undine. Zu einer Zeit, als Berührungen noch erlaubt waren ...
In einem Café sitzen sich Mann und Frau gegenüber. Johannes macht Schluss mit ihr. Sie muss doch etwas geahnt haben. Er hat ihr schon mit anderen Worten als sonst auf die Mailbox gesprochen. Die kleinen feinen Unterschiede. Er steht auf, um ihr einen Kaffee zu holen. Sie weint regungslos bei der Titel-Einblendung und wischt sich die Tränen schnell weg, als er wieder kommt. Sie muss zur Arbeit, aber er soll hier im Café auf sie warten bis sie wiederkommt. Ganz sachlich erklärt sie ihm, wenn er sie verlässt und nicht wartet, muss sie ihn leider töten.
Sie rennt in ein Gebäude in der Nähe und dort die Treppen hinauf. Klaviermusik begleitet sie. Eilig zieht sie sich um und geht in einen großen Raum mit Landschaftsmodellen. Sie ist Historikerin und hält hier als Freelancerin in der Berliner Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen Führungen. Professionell sagt sie ihren Text auf. Die Kamera fährt langsam an den Modellen entlang. Von der Seite, dann von oben. Ihre Worte hallen in dem großen Raum nach. Und wo befinden wir uns, fragt sie ihr Publikum. Der Ort überblendet sich auf das benachbarte Café in dem Garten. Wartet Johannes noch? Direkt nach der Führung, ohne sich umzuziehen, läuft sie dorthin zurück. Doch er ist nicht mehr an seinem Platz. Sie eilt in das Gebäude. Ein Aquarium rauscht laut und beginnt mit ihr zu sprechen. Nervös zuckt ihr Auge. Ein Mann versucht, sie dahinter anzusprechen. Er war bei dem Vortrag eben und fand sie ganz toll! Aufgelöst lässt sie ihr Handy fallen. Entschuldigend will er es aufheben und kracht dabei an das Regal. Das Aquarium zerbricht in tausend Teile und das Wasser ergießt sich über die beiden. Er ist übrigens Christoph, Industrietaucher, stellt er sich vor, während er Undine Glassplitter aus dem Bauch zieht.
Genauso schnell wie der Wechsel von Johannes zu der innigen Beziehung mit Christoph vonstatten geht, rauscht der Film von Szenerie zu Szenerie. Dabei entstehen konzeptionelle schöne Momente mit liebevollen kleinen Analogien und Details, besonders in Verbindung mit den zwei faszinierenden Hauptdarstellern (Paula Beer als Undine und Franz Rogowski als Christoph), die allerdings nicht so ganz über die Schwächen des Films an sich hinweg täuschen können. Das Wasser soll tief sein, doch es bleibt in der Eile der Erzählung etwas seicht.
Im Gespräch nach dem Film erzählt der Regisseur, das ganze Sequenzen in der Montage rausgeschnitten wurden. Zwei weitere Schauspieler waren eigentlich noch im Drehbuch eingeplant gewesen: Die Abgesandten des Todes. Diese sollten immer wieder auftauchen und Undine, ganz an den Mythos angelegt, immer wieder an das Töten erinnern. Doch den Regisseur erinnerte dies nachträglich dann doch eher an "eine tschechische Märchenverfilmung von 1974", daher flog es raus. Das Schöne sei ja auch eher die Ahnung einer Bedrohung. Und die Leichtigkeit der Zärtlichkeit – welcher Paula Beer und Franz Rogowski tatsächlich einen wunderbaren Ausdruck verleihen. Das Schauspiel-Paar glänzte nicht umsonst schon in Transit von Christian Petzold. Die Anlehnungen zu diesem Film sind mit dessen ästhetischer Handschrift auch deutlich zu erkennen. Wenn man liebt, lernt man, eine eigene Sprache zu finden – und der Mann liebt seine Filme. Dies merkt man auch hier und und diese Art von Nähe gibt auch Undine dann doch einen stabilen Halt.
© Tina Waldeck 2020