[Die Kunst der Stille]

Maurizius Staerkle-Drux | Schweiz und Deutschland 2022


Die leisten Untertöne. Eine verschwommene Hand, ein spähendes Gesicht. Der Pantomime malt akribische Emotionen in die Luft: Trauer, Wut, aber auch Freude. Mit unterschiedlich miteinander in Verbindung stehenden Personen erzählt der Film die »Kunst der Stille«: Marcel Marceau ist als Clown Bip eine französische Pantomimen-Ikone mit jüdischem Hintergrund und steht klar im zentralen Blickpunkt. Doch auch die Personen in seinem Umfeld faszinieren: Der Vater des Filmemachers selbst ist gehörlos und hat durch Marcel Marceau die Art des Ausdruckes erst erlernt, und auch der 16-jährige Louis, – Enkel von Marcel Marceau, – ertanzt sich in dessen Fußstapfen seine ganz eigene Gefühlswelt. Das auszurücken, was sie empfinden, steht bei allen im Fokus. Und sich von Belastungen loszulösen. 


Filmbild aus Die Kunst der Stille ©Maurizius Staerkle-Drux | Schweiz und Deutschland 2022
Filmbild aus Die Kunst der Stille ©Maurizius Staerkle-Drux | Schweiz und Deutschland 2022

Ein menschliches Gesicht zeigen

Der junge Marcel Mangel hat Charlie Chaplin bei seinem ersten Kinobesuch sofort ins Herz geschlossen. Seine Eltern waren nach Straßburg eingewandert: Sie aus der Ukraine, er aus Polen. Fast nie hat Marcel später darüber gesprochen, wie es in der Zeit als jüdisches Kind war oder wie der Antisemitismus immer weiter anwuchs. Sprechchöre werden überblendet: „Deutsche macht euch frei von der Juden-Tyrannei.“ Hakenkreuze an Schaufenstern. Schnitt auf dem Pantomimen Marcel Marceau, der sich Jahre später gegen eine imaginäre Mauer der Erinnerung stemmt. 

So richtig begriff der Junge das ganze Dilemma erst, als sein Vater in dessen koscheren Metzgerei denunziert und verhaftet wird: Ihm wird schon nichts passieren, so böse können Menschen doch nicht sein. Doch er wird in Auschwitz sterben ... Jahre später schlägt sich der Pantomime die Hände vor sein Gesicht. Er selbst wird seinen Namen ändern und sich dem Widerstand anschließen, sich mit einer Theatergruppe um jüdische Waisenkinder kümmern. In einem Interview erklärte der ältere Marcel Marceau, sein Clown wollte immer offen sein für andere und „den Gang der Menschlichkeit“ gehen.


Filmbild aus Die Kunst der Stille ©Maurizius Staerkle-Drux | Schweiz und Deutschland 2022
Filmbild aus Die Kunst der Stille ©Maurizius Staerkle-Drux | Schweiz und Deutschland 2022

Fazit

Nicht nur die verschiedenen, sensibel mit- und ineinander verflochtenen Geschichten der unterschiedlichen Persönlichkeiten im Spielraum des pantomimischen Kunststils faszinieren in dem Dokumentarfilm, sondern auch die kleinen Details im Rahmen der einfühlsamen Vertonung: So wird unter anderen „El Moleh Rachamin“ interpretiert von Shalom Katz eingespielt: Dieser hatte das Lied 1950 als Ode für die Gefangenen von Auschwitz aufgenommen, aus welchem er selbst entkommen konnte. Auch die Musik wird so zum musikalischen Zeitdokument, die Erinnerungen ohne das Verständnis der Worte weiter trägt und in ihrem Ausdruck bestimmte Gefühle mit-, weiter- und vielleicht fortträgt.



«Die Kunst der Stille» lief im Dokumentarfilm Wettbewerb auf dem Filmfestival Max Ophüls Preis 2022.


© Tina Waldeck 2022