[ I never cry ]

Piotr Domalewski | Polen, 2020


Hektische Schnitte und unruhige Kamera, passend zu dem nervösen Mädchen hinter einem Lenkrad. Neben ihr sitzt der Prüfer der Fahrschule. Sie flucht, als ihr Handy mehrfach klingelt, – ihr Klingelton „fucking police“ macht die Stimmung in dem Auto auch nicht besser. Wütend stürmt Ola, nachdem sie zum dritten Mal durchgefallen ist, zurück in die ärmliche Wohnung ihrer Familie. Sie braucht noch mal Geld für die Fahrlizenz, sie hat es wieder nicht geschafft, überbringt das 17-jährige Mädchen ihrer Mutter die Hiobsbotschaft. Diese verdreht die Augen. Als ob sie zu viele Złotys hätten. Zusammen tragen sie den behinderten Pavel in sein Bett. Dabei will Ola doch unbedingt ein Auto, damit sie mit ihrem Bruder durch die Welt fahren kann. Ihr Vater, der in Irland lebt und arbeitet und den die Familie schon seit Jahren nicht mehr gesehen hat, hat ihr versprochen, eines zu kaufen, sobald sie ihm die Fahrerlaubnis zeigt. Unglücklich wirft sie sich auf ihr Bett.


Filmbild aus I never cry ©Piotr Domalewski | Polen 2020
Filmbild aus I never cry ©Piotr Domalewski | Polen 2020

Aber die Lethargie dauert bei ihr nicht lange, denn schon in ihrem jungen Alter ist sie daran gewohnt, vieles selbst in die Hand zu nehmen: Sie fragt eigenständig nach einer Arbeit und wäscht Autos. Da bekommt ihre Mutter einen Anruf aus Irland. Es gab einen Unfall: Krzysztof wurde von einem Container getroffen. Kann sie mit ihm sprechen? Nein... Er ist tot. Schweigen. Nach den hektischen Schnitten von Anfangs setzt nun eine bleierne Ruhe ein. Gefühle verloren im Raum. Was nun? Wortlos, regungslos und rauchend sitzen sie am Tisch. Dann fahren sie zusammen im Bus zu einer Praxis. Ola nimmt selbstverständlich den Rollstuhl ihres Bruders, als sie aufgerufen werden. „Mama, kommst du?“ Die ältere Frau starrt paralysiert nach unten und folgt ihrer Tochter. Sie brauchen die Sterbeurkunde des Mannes und die bekommen sie nur von dort, wo er auch verstorben ist, klärt man sie auf.


Filmbild aus I never cry ©Piotr Domalewski | Polen 2020
Filmbild aus I never cry ©Piotr Domalewski | Polen 2020

Auf dem Rückweg hieven sie den schweren Rollstuhl zusammen wieder die Treppe zu ihrer Wohnung hinauf. Wie viel wird es wohl kosten, seinen Tod bestätigen zu lassen? Ola soll nach Irland reisen, die Mutter spricht kein Englisch und muss auf Pavel aufpassen. Das ganze Geld, das der Vater für das Auto seiner Tochter gespart hat, wird wohl für seine Beerdigung verwendet werden müssen, denn die Mutter hat dafür keines übrig. So macht sich Ola alleine und frustriert auf den Weg aus der Heimat fort in ein unbekanntes Land, um den Vater zu identifizieren – und dabei in seinen Sachen nach dem Geld zu suchen, das er am Telefon immer wieder versprochen hat, für sie zurückzulegen. Hat er sein Wort gehalten?

Fazit

Produzent Jan Kwiecinski erzählt nach dem Film im Q&A-Gespräch mit Joshua Jádi, das der Film eine sehr finstere polnische Ironie in sich trägt und durchaus als Tragikomödie betrachtet werden kann. Immigration ist in Osteuropa ein großes Thema: Denn gerade aus den ärmeren Ländern zerreißt es viele Familien, weil die Menschen auf der Suche nach Arbeit woanders hingehen. Oft soll das nur wenige Monate dauern, doch meistens geht es über Jahre. Das beeinflusst die Mentalität, wie Familien angesehen werden. Dabei war es dem Team wichtig, das die Orte von Irland auch nicht so anders aussehen wie die Orte in Polen, – der Kampf ums Überleben führt hier nicht in ein gelobtes Land, sondern bleibt auf einer ähnlichen Ebene und mit ähnlichen Problemen. So wie sich der Vater davor durchkämpfen musste, kämpft nun seine Tochter.

Immer wieder merkt man dabei den entfremdeten Bezug von dem Mädchen zu Krzysztof. Die Beziehung zwischen den beiden ist nur durch das Geld und das Auto gefestigt: Auch in der aktuellen Situation ist es das, was die Motivation von Ola zunächst antreibt. Mit dem stetigen Kennenlernen von seinem sozialen Umfeld, den Freunden und Arbeitskollegen, erfährt sie allerdings viele private Dinge, die dem fremden Mann einen Hauch mehr Persönlichkeit und auch Menschlichkeit geben. Auf dem schmalen Grat zwischen Vertrauen und Misstrauen, Ehrlichkeit und Lügen, Legalität und Illegalität hält sich bis zum Ende die Anspannung in dem Mädchen, welche sich auch auf die Spannung des Zuschauers überträgt: Gebannt verfolgt und rätselt man in dieser kurzweiligen Tragikomödie bis zum Ende, wie die Geschichte wohl ausgehen wird.




© Tina Waldeck 2020