[ Kids Run ]

Barbara Ott | Deutschland 2020


Ein Rücken in Nahaufnahme; Schweiß. Schweres Atmen. Im Boxring fließt Blut. Alle Geräusche dämpfen sich ab, als der junge Mann k. o. geht. Ein Kind liegt in einem Bett und hat Angst. „Papa ist ja gleich da“, sagt das andere.


Filmbild aus Kids Run ©Barbara Ott
Filmbild aus Kids Run ©Barbara Ott

Schnelle und harte Schnitte im Film für das schnelle und harte Leben von Andi, auf dessen Schultern eine hohe Verantwortung liegt. Drei kleine Kinder hat er. Die beiden Älteren sind Ronny und Nikki, deren Mutter sich der Realität entzieht und mehr Interesse an ihrer Katze zeigt als an ihnen. Die Mutter der Jüngsten, Baby Fiou, ist Sonja. Doch auch wenn Andi sie aufrichtig liebt und immer wieder versucht, sie für sich zu gewinnen: Sie lebt mit einem anderen Mann zusammen, der sie und das Baby immerhin versorgen kann. Ein ruhiges und harmonisches Leben. Das hätte Andi gerne, danach sehnt er sich, doch er kann es ihnen nicht bieten. Es ist ein stetiges hin und her, zwischen den Müttern und ihm, gepaart mit anhaltenden Vorwürfen.


Filmbild aus Kids Run ©Barbara Ott
Filmbild aus Kids Run ©Barbara Ott

Das Geld für die Schuhe der Kinder wird für Sonjas Geburtstagsgeschenk geopfert. Er überreicht ihr romantisch zwischen Tür und Angel eine Halskette – und bittet sie dabei direkt um ein paar Tausend Euro für seine Miete. Als er bei seiner Arbeit auf der Baustelle rausfliegt, hilft er zu entrümpeln und beginnt als Security zu arbeiten. Er ist nicht faul, er kämpft im Leben hart, um allem und allen gerecht zu werden. Doch es reicht vorne und hinten nicht und ständig kommt ihm das Leben in die Quere. Seine Stimmung ist oft gereizt und manchmal wird er auch den Kindern gegenüber aus Überforderung heraus aggressiv. Immerhin bekommt der Vermieter das Geld für seine Miete, eine Sorge weniger. Aber als er bei diesem auch noch den Schimmel in der Wohnung anspricht, wird er an RTL verwiesen, die kümmern sich bestimmt um sie. Die Abwertung: das Gefühl, nichts wert zu sein. Von allen nur als ein Versager angesehen zu werden.

Oft werden die Kinder aus einer Not heraus woanders zwischen „geparkt“. Die Überforderung der Erwachsenen mit ihrem Leben überträgt sich auch auf sie. Sprache und Verhalten werden kopiert und immer mehr übernommen. Auch in der Schule. Da wird die älteste Tochter erwischt, als sie ein Messer dabei hat. Andi wird geholt, aber verweigert der Sozialarbeiterin, zu ihnen in die Wohnung zu kommen. „Wir brauchen keine Hilfe.“ ... Sie bräuchten Hilfe, aber zu groß ist die Angst, die Kinder zu verlieren. Heimlich gibt er seiner ältesten Tochter das Messer zurück. Er zeigt Verständnis. Manchmal muss man kämpfen. Manchmal braucht man für die eigene Angst eine Stütze.


Filmbild aus Kids Run ©Barbara Ott
Filmbild aus Kids Run ©Barbara Ott

Er kämpft noch mehr, um seinen Frust hinauszulassen, und auch in Aussicht auf ein Preisgeld: Bei einem Sieg wird bestimmt alles besser werden! Wie im Leben. Anspannung. Der väterliche Freund als Coach am Rand, der ihn unterstützt. Die Kinder im Publikum, die ihn anfeuern. Wieder schnelle Kameraeinstellungen und sein Rücken in Nahaufnahme. Wieder ändern sich die Geräusche: Die Musik mit dem Bass haut rein wie die donnernden Fäuste des Gegners. Aber wenn ihm was passiert, was geschieht dann mit seinen Kindern?

FAZIT

Der Film zeichnet eine schöne, unschöne Studie des sozialen Milieus, vor welchem viele gerne die Augen verschließen. Hier wird es unbequem, wild und hart, aber jede*r kann die Menschlichkeit dahinter nachempfinden. Die Nähe, die der Film zu Andi und seinen Kindern generiert, die aufrichtige Liebe zueinander, wird immer wieder gepaart mit abstoßendem, aggressiven Verhalten, welches abblockt, um bloß nicht verletz- oder angreifbar zu sein und konträr dabei selbst als Verteidigung angreift. Das symbolische Bellen der Hunde. Zwischen Angriff und Verteidigung wie auch in der Symbolik des Boxens. Mit der stetigen Hoffnung auf den Hauptgewinn.

Hauptdarsteller Jannis Niewöhner hat das Drehbuch gelesen und wusste sofort, warum er diese Rolle spielen wollte: Um dem Leben der Menschen aus diesem Milieu einen Wert zu geben und ihre Motivationen zu beleuchten. Seine Weltpremiere feierte KIDS RUN auf der Berlinale 2020. Nun lief er auch auf dem diesjährigen FILMZ – Festival des deutschen Kinos, das vom 05. bis 14. November 2020 on demand stattfand. Auch durch die Koproduktion mit dem ZDF – Das kleine Fernsehspiel hatte der Film einen Lucky Punch in Mainz: KIDS RUN konnte hier den Publikumspreis für den besten Langspielfilm mit einem Preisgeld von 1.500 Euro für sich gewinnen.



© Tina Waldeck 2020