[Landscapes of Resistance]

Marta Popivoda | Frankreich, Deutschland, Serbien 2021


Ein kleines Bild im großen Bildschirmgefüge: eine spielerische Katze an einer weiblichen Hand. Die Kamera zoomt raus. Das darfst du doch nicht, erklärt die alte Frau freundlich. Wie aus einem Gemälde erscheint der Szenenwechsel auf ein wogendes Blumenmeer, diesmal im bildschirmfüllenden Format. Lange, ruhige Aufnahmen und nur Grillen zirpen im Hintergrund, solange, bis ein Frauenchor beginnt die roten Blütenblätter der Mohnblumen zu besingen. Sind sie Unkraut? Oder das Symbol von dem Blut, das hier geflossen ist?

Zwischen den langsamen, bedachten und poetischen Aufnahmen wandert die Szene immer wieder zu Sonja. Müde und altersschwach sitzt sie in ihrem Sessel; meistens hört man auch nur ihre Stimme erzählend aus dem OFF, die noch am kräftigsten anmutet. Schon in der Schule fing sie an, progressive Literatur zu lesen. Durch einen Freund kam sie in eine Gruppe von Kommunisten und lernte den Jungen kennen, der dort Vorstand war. Die beiden freundeten sich an und wurden schließlich ein Paar. Später studierte er und wurde Teil der kommunistischen Jugend Jugoslawiens. Sie flog unterdessen vom Gymnasium wegen ihrer unguten Verbindungen, – obwohl sie gute Noten hatte.


Filmbild aus Landscapes of Resistance ©Marta Popivoda | Frankreich, Deutschland, Serbien 2021
Filmbild aus Landscapes of Resistance ©Marta Popivoda | Frankreich, Deutschland, Serbien 2021

Wenn man politisch auf der falschen Seite steht

Zu ihrer Stimme formen sich Bilder von dem Äußeren ihres Hauses: Risse und sonstige Spuren der Vergangenheit. Der Uhu schreit in die Nacht hinein, während der Schatten eines Menschen ruhig am Wasser entlang läuft. Langsam und eindrucksvoll werden die Nahaufnahmen und die Landschaften ästhetisch ineinander überblendet. Kleine, friedliche Idylle. Die Bilder wandern in den inneren Raum. Nahaufnahmen von Glas, die in das bebende Fell der Katze münden. Eine gläserne Büchervitrine wird geöffnet. Alte Aufnahmen im kleinen Format durchbrechen das normale Sehmuster, – sich mit kleinen Fragmenten, wie Puzzlestücke aus der Vergangenheit, auf die Gegenwart beziehend oder diese ergänzend.

Das junge Paar beschließt zu heiraten, damit sie niemand mehr trennen kann. Heimlich fahren sie nach Belgrad und lassen sich von kommunistischen Freunden einen falschen Taufschein ausstellen: denn Sonja ist eigentlich noch minderjährig. Noch vor Kriegsbeginn ziehen sie zusammen. Zuerst arbeiteten die beiden um 1941 mit der Jugend des Dorfes, um Heranwachsenden für ihre Gruppe anwerben. Dann fielen die ersten Bomben und sie sollten im Wald hinter dem Haus einen Ort suchen, der sich als Versteck für eine Spezialeinheit eignete, von welcher auch Sonja ein Teil wurde. Eine Partisanin. Weiße Zeichnungen überlagern die eng aneinander stehenden Bäume. Eines Tages wollten sie einen Zug mit Weizen, welcher für die Deutschen bestimmt war, überfallen. Dabei sieht sie sich plötzlich einem SS-Offizier gegenüber. Er zielt mit seiner Pistole auf sie und so schießen beide, aber Sonja wirft sich schneller auf den Boden. Während er stirbt, spürt sie das Rauschen seiner Kugel über sich. Gegenwärtige Nahaufnahme auf ihre Hand, die auf einer braunen Decke ruht. Das Pulsieren der Adern. Lange hat sie danach gezittert.


Filmbild aus Landscapes of Resistance ©Marta Popivoda | Frankreich, Deutschland, Serbien 2021
Filmbild aus Landscapes of Resistance ©Marta Popivoda | Frankreich, Deutschland, Serbien 2021

Es ist nicht leicht jemanden zu töten...

... aber sie verteidigten ihr Land und ihre Freiheit, schließt sie stolz an. Die anderen hatten ja schließlich angefangen und ihr Land besetzt. Aber dann wurde auch ihre Einheit festgenommen und ins Gefängnis gebracht. Mit anderen serbischen Frauen kam sie auf einem Lastwagen mit Stacheldraht an den Fenstern und sie fuhren in ein Lager, wo lange Reihen von Frauen in gestreifter Kleidung und mit Kopftüchern marschierten. Bleich und aschfahl wie Skelette. Niemand von den Neuankömmlingen kann da mit dem Namen Auschwitz etwas anfangen. Sie werden über die vielen Kamine, die Krematorien aufgeklärt und sind entsetzt. Langer Kameraschwenk über die Anlage mit einem nervösen, musikalischen Flimmern im Hintergrund. Doch auch im Lager werden sich die inhaftierten Widerstandskämpfer*innen formieren.


Filmbild aus Landscapes of Resistance ©Marta Popivoda | Frankreich, Deutschland, Serbien 2021
Filmbild aus Landscapes of Resistance ©Marta Popivoda | Frankreich, Deutschland, Serbien 2021

Fazit

Zwischen den stimmungsvollen Nahaufnahmen und Überblendungen finden sich auch immer wieder handschriftliche, weiße Text-Einblendungen, die den poetischen Ansatz des Films unterstützen. Dabei werden es gegen Ende immer mehr Briefe, die fragmentarisch eingeblendet werden und bis in die Gegenwart hinein reichen, Zeitgeschichte überlagern und von den augenblicklichen Kämpfen berichten: wie über die Demonstrationen gegen Faschismus und Rassismus in einem Deutschland, das wegen der Flüchtlingssituation 2018 in heller Aufregung ist. Insgesamt erblüht der Film durch die feinfühligen Einstellungen, die sensible Assoziationen und Analogien finden, auch wenn sich gegen Ende manche logischen Zusammenschlüsse in Sonjas Lebens für den Zuschauer nicht so ganz natürlich erschließen. Vielleicht will das Werk in kurzer Zeit etwas zu viel erzählen, aber vielleicht passt auch dies in das Bild einer sich gegen die Vorgaben anderer auflehnenden Widerstandskämpfer*in. So produziert die Filmemacherin mit ihren biografischen Ansätzen ein sehenswertes – und mit der bejahrten und liebenswerten Dame zugleich Ruhe ausstrahlendes – Vermächtnis, das nachklingt.




»Landscapes of Resistance« lief im Wettbewerb von goEast – Festival des mittel- und osteuropäischen Kinos on Demand 2021.


© Tina Waldeck 2021