[ Masel Tov Cocktail ]

Arkadij Khaet | Deutschland 2020


Erinnerungskultur und deutsche Komplexe

Ein Junge malt aus einem Hakenkreuz an der Wand einen Vogel: Eine Nazi-Eule. Er teilt die Kopfhörer mit seiner Freundin, während beide heimlich rauchen. Dann muss sie wieder in ihre Klasse und geht selbstbewusst durch die Jungen-Toilette hinaus. Blöde Sprüche hin, blöde Sprüche zurück. Beleidigung über die Bar Mizwa ihres Freundes. Der russisch-jüdische Dimitrij Liebermann schubst seinen Klassenkameraden an die Wand. „Ey – weißt du, was man früher mit dir gemacht hätte?“ Was hat Tobi da gesagt? Provozierend spielt dieser eine Vergasungsszene nach. Verengender Zoom auf den Hauptcharakter. Er blickt direkt in die Kamera: Finden die Zuschauer das lustig? Das Bild wechselt ins Schwarz-weiß. Die typisch jüdische Kopfbedeckung wird aufgesetzt. Im Film und Fernsehen sind die Juden ja auch schwarz-weiß. Meistens angstvoll auf der Flucht. Opfer. Geil? Viel jüdischer? Er rückt sich wieder seine Baseballmütze zurecht. Nein, so ein Film ist das hier nicht. Faust auf die Kameralinse, die den Zuschauer zurück fokussiert auf den Moment in der Toilette. „War doch nur ein Spaß, Mann!“, grinst Tobi. Zack. Da bekommt auch dieser die Faust ins Gesicht.

Masel Tov Cocktail wird der Titel eingeblendet. Man braucht keine Explosion zu sehen, um sie zu fühlen.

Ja, was hätten die Zuschauer denn gemacht? Gelacht? Eigentlich ist er ja kein aggressiver Typ, aber wenn man ihn provoziert ... Doch der Spaß fängt für Dimi jetzt erst richtig an, denn natürlich muss er nun zum Direktor und soll sich bei Tobi entschuldigen. ER sich bei IHM! Wutentbrannt läuft er durch den Ruhrpott und erzählt dem Zuschauer im vertrauten Zwiegespräch alle Dinge, die aus seiner jüdischen Sicht irgendwie nicht so ganz stimmig sind in diesem Land.


Filmbild aus Masel Tov Cocktail ©Arkadij Khaet
Filmbild aus Masel Tov Cocktail ©Arkadij Khaet
Filmbild aus Masel Tov Cocktail ©Arkadij Khaet
Filmbild aus Masel Tov Cocktail ©Arkadij Khaet

„Antisemitismus ist wie Herpes, niemand kennt ein Heilmittel gegen den Scheiß“

Was weiß man über Juden? Gerahmte Vorstellungsbilder in Deutschland: Vorurteile, Klischees und anerzogene Verhaltungsweisen? Sehr genau wurden alle detailreichen Pointen in das Drehbuch hinein geschrieben und vorbereitet, erklärt Filmemacher Arkadij Khaet im Filmgespräch mit Nik Grujic. Seine Freundin Merle Teresa Kirchhoff, mit welcher er das Drehbuch zusammengeschrieben hat, war als Geschichtsstudentin besonders für die korrekten Statistiken zuständig, die einen großen Teil des Films ausmachen, ohne das dieser dadurch langweilig oder gar dröge wird. Seit 10 Jahren sind die beiden ein Paar, er ist jüdisch. Arkadij Khaet witzelt, dass man ja auch auf der Filmschule beigebracht bekommt, immer persönliche Erfahrungen in seinen Filmen zu verarbeiten! So war es sein Anliegen aus einer subjektiv jüdischen Perspektive einem deutschen Publikum zu erzählen, was es für ein Gefühl ist, in Deutschland jüdisch zu sein. Speziell aus der Sicht einer russischen Community, wo die Jugend nicht so recht in diese eingeschränkte Vorstellungswelt passen will, wie man sich Juden vorstellt.

Das Casting für den Hauptcharakter Dimitrij Liebermann erwies sich als schwieriger als gedacht. Da schon die Dialoge und der Schnitt aggressiv werden sollten, war es Arkadij Khaet, Co-Regisseur Mickey Paatzsch und Merle Teresa Kirchhof wichtig, dass das Publikum den Schauspieler mag, um sich ihn einfühlen zu können. In einem jüdischen Studienwerk hat Arkadij Khaet schließlich den Kontakt zu Alexander Wertmann hergestellt. Bei diesem war sofort eine persönliche Verbindung zu dem Drehbuch vorhanden: Viele Erlebnisse hatte dieser auch schon selbst erlebt und somit ebenfalls einen persönlichen Zugang zu der Thematik. So glänzt der Film mit ihm bis zum Ende mit der einprägsamen Darstellungsweise sowie einem konsequenten Rhythmus, welcher schlagartig Szene um Szene und alle faktischen Inhalte mit einem lachenden und einem weinenden Auge pointiert umsetzt, sodass es eine Freude ist, zuzusehen und zu lernen.

Auch bei den Zuschauern des diesjährigen FILMZ – Festival des deutschen Kinos konnte Masel Tov Cocktail begeistern und als bester mittellanger Film den Publikumspreis für sich gewinnen. Bis zum 13. Februar 2021 kann der Film nun auch in der ARTE Mediathek kostenlos gesichtet werden. Eine absolute Empfehlung!


Filmbild aus Masel Tov Cocktail ©Arkadij Khaet
Filmbild aus Masel Tov Cocktail ©Arkadij Khaet

© Tina Waldeck 2020