[Quo vadis, Aida?]

Jasmila Zbanic | Niederlande 2020


Laut donnern die Panzer durch die schmalen Straßen und die Räder zermalmen das Gefüge der Erde. Mit dramatischen Klängen schwenkt die Kamera an regungslosen Männern vorbei und zoomt auf eine (noch) genauso regungslos verharrende Frau: Sie sitzen alle an einem Verhandlungstisch. 

Die Geschichte des Spielfilms verarbeitet die realen Ereignisse, die mehr als 8.000 muslimische Bosniaken vom 11. bis zum 19. Juli 1995 widerfahren ist: Unter dem Kommandanten Thomas Karremans sollen 400 niederländischen UN-Blauhelm-Soldaten die muslimische Schutzzone Srebrenica sichern, doch serbische Truppen unter dem Kommando von Ratko Mladić dringen immer weiter in das Gebiet ein und scheren sich nicht um das Ultimatum, das, wenn sie nicht abziehen, sie schwere Konsequenzen von der NATO zu spüren bekommen. Unbeeindruckt ziehen die bedrohlichen Fahrzeuge stündlich näher. Was nun?

Gefangen in der Schutzzone

Bomben fallen. In der Stadt rennen Familien durch ihre Wohnungen, packen eilig ein paar Sachen ein und verlassen ihr vertrautes Zuhause. Auch die feindlich gesinnten Soldaten rennen durch die Stadt: Schüsse klingen. Schnelle und schonungslose Schnitte. Ein Mann steigt über eine Frauenleiche, während neben ihr das Mittagessen im Ofen verbrennt. Ungute Analogien. Immer mehr Menschen erreichen die Schutzzone und suchen Hilfe in dem kleinen, abgezäunten Bereich der UN, bis dieser wegen Überfüllung geschlossen werden muss. Die Menschen, die nicht mehr hineingelassen werden, verharren in der Nähe mit der Hoffnung auf Unterstützung. Wo sollen sie auch sonst hin? 

Als Zuschauer sieht und spürt man eine Situation, die zur Eile rät. Dabei liegt der Fokus schnell bei Aida, die als ehemalige Lehrerin zwischen den Parteien als Dolmetscherin fungiert und so manches Mal vor Nervosität förmlich flimmert. Können die UN-Blauhelm-Soldaten ihnen wirklich Sicherheit gewährleisten? Der Kommandant verspricht es, und sie verspricht es an ihre Landsleute weiter, beruhigt und vermittelt. Der UN können sie nichts tun, erklärt sie. Das wagen die anderen nicht. Der Glauben an eine menschliche Ethik und Respekt vor einer Institution, wo die Soldaten außerhalb schon jegliche Moral verloren haben. Und was passiert mit den Menschen vor den Toren? Nur wenige Meter von ihnen entfernt werden sie den syrischen Soldaten ausgeliefert? Unruhige Kamera, die nah bei ihr bleibt: Auch ihre eigene Familie ist zwischen den Menschen dort draußen und ihre Nerven liegen blank.


Filmbild aus Quo vadis, Aida? ©Jasmila Zbanic | Niederlande 2020
Filmbild aus Quo vadis, Aida? ©Jasmila Zbanic | Niederlande 2020
Filmbild aus Quo vadis, Aida? ©Jasmila Zbanic | Niederlande 2020
Filmbild aus Quo vadis, Aida? ©Jasmila Zbanic | Niederlande 2020

Fazit

In der Art der Darstellung vermittelt der Film eindrucksvoll, was zwischen einer trügerischen Sicherheit, die nirgendwo gewährleistet wird, und den beruhigenden Versprechungen, die kaum Fundament haben, passieren kann. Immer wieder zeigt die Handlung in dezenter Ironie schon fast groteske Fragmente, wie wenn ein serbischer Soldat die ehemalige Lehrerin erkennt und sie fragt, wo denn ihre Schüler sind und sie ihm durch den Zaun einen schönen Gruß an seine Mutter mit auf den Weg gibt. Sie kennen sich, sie sind zusammen aufgewachsen, auch wenn die unmenschliche Weltanschauung innerhalb des Systems sie nun spaltet. Mit ungeschöntem Blick und unpathetischem, bodenständigem Ansatz peitscht der Film seine Handlung voran und die Zuschauer rennen, fühlen, kämpfen und leiden mit Aida mit, wenn im Verlauf des Films ihre Hast in eine bedrückende Ruhe mündet. 



»Quo vadis, Aida?« lief bei goEast – Festival des mittel- und osteuropäischen Films on Demand 2021, beim Lichter Filmfest Frankfurt International 2021 und war bei den Academy Awards 2021 für den besten internationalen Film nominiert.


© Tina Waldeck 2021