[The Mirror and the Window]

Diego Gutiérrez | Niederlande 2021


Der Filmemacher Diego Gutiérrez ist dabei, zwei nahestehende Menschen zu verlieren: nicht nur seinen an Krebs erkrankten besten Freund Danniel, sondern auch seine Mutter Gina. Beide bitten ihn unabhängig voneinander, ihre letzten Momente auf Kamera festzuhalten. So filmt er seine Mutter in ihrer Wohnung eines Hochhauskomplexes in Mexico City sowie Danniel in einem holländischen Restaurant. Die Reise in die Gefühlsantarktis verbindet die beiden getrennten Einheiten: Wo die Eisberge von dem stürmischen Meer des Lebens herumgetrieben worden sind.


Filmbild aus The Mirror and the Window ©Diego Gutiérrez | Niederlande 2021
Filmbild aus The Mirror and the Window ©Diego Gutiérrez | Niederlande 2021
Filmbild aus The Mirror and the Window ©Diego Gutiérrez | Niederlande 2021
Filmbild aus The Mirror and the Window ©Diego Gutiérrez | Niederlande 2021

Das Leben ist nicht nur aus Lachen gemacht

Am Anfang des Films dachte er an Tschechow. Eisberge schwimmen an der Kamera vorbei, während Danniel erzählt, dass es in dem kleinen Restaurant immer leer ist und er sich deshalb hier zu Hause fühlt. Er hält ein Foto in die Kamera: Ein kleines Kind, er selbst, auch wenn es wie ein Mädchen aussehen mag. Wahrscheinlich hat es sein Vater gemacht und vielleicht ist es eines der letzten Momente, wo er glücklich gewesen ist. Als sein Vater nach Haifa umzog, hat er seinen Sohn in ein Kibbuz in Galiläa gesteckt. Angeblich wegen Danniels Asthma und weil das Wetter dort besser war. Durch so viele Schwierigkeiten ist er danach gegangen: Wenn er darüber nachdenkt, ist alles wie eingefroren.

Schnitt. Ein großes Fenster mit Aussicht auf die Hochhäuser der Großstadt. „Guten Morgen, Diego“ grüßt ihn die ältere Dame beiläufig. Vor ihrer Hochzeit mit dem 11 Jahre ältere Gonzalo, – dem Vater des Filmemachers –, hat dieser sie erst einmal zu einem Gynäkologen geschickt, um ihren Zyklus mit der Pille regulieren lassen. Sie waren auf einer Fahrradtour durch den Dschungel, als sie Angst bekam und umkehren wollte. Du kannst machen, was du willst, sagte er, aber ich fahre weiter. So folgte sie ihm, denn sie wollte nicht alleine zurück. Als Metapher daran denkend, würde sie immer noch gerne weinen. Sie zeigt ihm ein Foto von Jacobo: Der Jude, mit dem sie ihren Mann später betrogen hat.

Fazit

Immer mehr emotionale Eisfelsen tauchen auf und lösen sich ab. In den nicht chronologischen Fragmenten setzt Diego Gutiérrez poetische Akzente wie Schritte, die sich im Schnee vorsichtig voran tasten. Er selbst scheint oft im Hintergrund das Verbindungsglied in dieser Antarktis zu sein: Wie ein Steuermann, der nicht zu viel fordern möchte und bedacht bleibt, um die ihm bekannte Umgebung mit unbekannten Tiefen zu dokumentieren, ohne selbst zu verletzen, – denn die Schiffe haben schon genug Schrammen im Leben erfahren. So verbleiben sie, wie es sich die beiden gewünscht hatten, mit der Möglichkeit, noch ein letztes Mal über die erlebten Erfahrungen zu sprechen, die ihr Leben bereichert, aber auch erschwert haben. 



»The Mirror and the Window« feierte seine Uraufführung  in der Envision Competition auf dem IDFA –  International Documentary Film Festival Amsterdam und war nominiert für den IDFA Award for Best Dutch Documentary.


© Tina Waldeck 2021