[ The Mole Agent ]
Maite Alberdi | USA, 2020
Einsamkeit ist das Schlimmste
A&A Invepriv ist auf einem Tür-Schild in Nahaufnahme zu lesen. Charakteristische Detektiv-Musik. Ein Licht wird angeschaltet. Berge von alten Aktenordnern, eine Lupe und ein Ausweis liegen auf dem Tisch. Eine Zeitung wird in Nahaufnahme eingeblendet, in der eines der Inserate rot unterstrichen ist. Ein älterer Herr zwischen 80 und 90 Jahren wird gesucht: diskret und gewandt in neuen Technologien. Die Kamera schwenkt an einer Reihe von Männern entlang. Viele mit klassischem Hut. Ein Casting nach einem Spezial-Agenten, der im Auftrag der Detektiv-Agentur für drei Monate in ein Pflegeheim einziehen und berichten soll, was dort vor sich geht.
Die Kamera fährt an der Mappe mit den potenziellen Bewerbungskandidaten entlang, bevor die endgültige Entscheidung fällt. Die Jalousie wird auseinander gezogen, als der Auserwählte den Flur entlanggeht: Der charismatische Sergio (Sergio Chamy) soll den Posten übernehmen. Dieser freut sich, denn seit ein paar Monaten ist er Witwer, – so hat er eine Aufgabe und sitzt nicht alleine mit seinen traurigen Gedanken in der leeren Wohnung herum. Nun bekommt er eine Schulung von seinem neuen Chef Romulo (Romulo Aitken) und versucht sich konzentriert in FaceTime und WhatsApp zurechtzufinden.
Anfangs ist es schwer zu glauben, dass es sich hier tatsächlich nicht um einen Spielfilm, sondern um einen inszenierten Dokumentarfilm handelt. Geschickt wechselt die Regisseurin im 1/3 immer wieder die Kamera-Perspektive, bricht damit die Illusion auf und lässt sie zu einem Teil der Realität werden: So schaut man auch schon mal durch die Hightech-Spionage-Kamera, die in Sergios neuer Brille eingebaut ist… und die aus seiner Perspektive das Kamerateam enthüllt, das ihn und seinen Chef filmt. Aus dem OFF erklärt das Team dazu, das sie bereits in dem Pflegeheim waren und alle wissen, das sie einen neu einziehenden Bewohner filmisch begleiten möchten. Nur das der neue Bewohner dann zufälligerweise ihr selbst eingeschmuggelter Spion sein wird. Auch hier: doppeltes Spiel.
So betritt er mit seiner modernen Ausrüstung bestens vorbereitet die Einrichtung. Wie mögen die Zustände hier sein? Sergio tastet sich unauffällig auffällig und mit diversen humoristischen Einlagen (wie seinem stetigen Kampf mit der Technik) an seine Mission heran. Von seinem Chef wird er telefonisch ermahnt, nicht zu stürmisch zu sein, damit die Pflegekräfte nicht misstrauisch werden. So setzt er sich erst einmal in einen Sessel, löst Kreuzworträtsel und beobachtet das Szenario durch die Glasscheiben.
Schon früh werden hier von der Kamera alle „Hauptcharaktere“ in den Einstellungen eingeführt, ohne das man sie als Zuschauer schon zu erkennen weiß. Und wo anfangs nur das Gesamtbild von alten Menschen ist, bekommen diese immer mehr Charakter, Charme und Persönlichkeit. Die Ästhetik bleibt dabei immer achtungsvoll: Selbst die kommenden traurigen, wehmütigen oder auch schwer verdaulichen Szenen sind in einen eleganten und menschenwürdigen Rahmen verpackt, – zu der auch viel die Handlungsweise des Hauptcharakters beiträgt: Nicht umsonst hat Sergio bei der Damenwelt schnell den Ruf eines Gentlemans. Während einige der Damen schon über eine Heirat mit ihm nachdenken, erzählt dieser seinem Chef in den täglichen Reports ausführlich den Klatsch und Tratsch des Hauses. Im Zwischenschnitt reibt sich Romolus verzweifelt die Augen. Er ist ja glücklich, dass sein Spion sich dort gut einlebt, aber er braucht schon ein bisschen mehr arbeitsrelevante Substanz!
Fazit
Mit einem liebevollen Blick verfolgt die Kamera die Sperenzien des „Maulwurfs“, und zusammen mit Sergio schließt auch der Zuschauer schnell Freundschaft mit Rubira, Zoila, Berta und allen anderen Bewohner*innen des Pflegeheims. Dabei bietet der Film eine unterhaltsame, lebensnahe Menschlichkeit in aller Schwere der Thematik eines würdevollen Alterns – und scheut dabei keine soziologisch relevante Frage, ohne dabei direkt mit dem Finger auf die Umstände zu zeigen.
The Mole Agent lief im Online-Programm des International Documentary Filmfestival Amsterdam 2020.
© Tina Waldeck 2020