[Three Minutes: A Lengthening]

Bianca Stigter | Niederlande, UK 2021


1938 drehte der Amateur-Filmemacher David Kurtz einen dreiminütigen Stummfilm, der 2020 von seinem Enkel wiederentdeckt wurde. Die Menschen in einem kleinen Dorf: Was hat es mit ihnen auf sich? Die markante Stimme von Helena Bonham Carter als Erzählerin folgend, begeben sich die Hinschauenden tief in die filigranen Fragmente, um all die Details entdecken zu können, die so viele persönlichen und historischen Details innerhalb eines großen, düsteren Kapitels der Geschichte preisgeben.


Filmbild aus Three Minutes: A Lengthening ©Bianca Stigter | Niederlande, UK 2021
Filmbild aus Three Minutes: A Lengthening ©Bianca Stigter | Niederlande, UK 2021

Teilstücke des Lebens

David Kurtz wurde in Polen geboren. Mit vier Jahren reiste die Familie in den USA, wo er aufwachsen sollte. Mit seiner späteren Frau lebte er in Brooklyn, bevor die kleine Familie mehrmals nach Europa reiste: nach Paris, Amsterdam und London. Kurz vor einer Reise nach Polen kaufte der Großvater eine 16-mm-Kamera (Magazine Cine Kodak), die mit Farbfilm oder Schwarz-Weiß-Film funktionierte. Warum war ihm ausgerechnet diese Reise so wichtig? Gibt es in dem Film Zeichen einer räumlichen Verortung?

Im Ausschlussverfahren wird sich an mögliche Orte heran getastet: Ist es die Geburtsstadt der Großmutter oder des Großvaters? In den polnischen Städten überlebten nicht viele den Holocaust: Wenige der Menschen in den Aufnahmen konnten wahrscheinlich ihren Tod verhindern. Die Fragmente aus diesem kurzen Moment ihres Leben zeigen alles, was von ihnen übrig geblieben ist: Drei Minuten Erinnerungen eines belanglosen, aber freudigen Momentes durch den Zufall festgehalten.



Fazit

Überraschend faszinierend zieht der kurze Film den Betrachter als Mit-Detektiv, Mit-Erlebender und Mit-Mensch in den Bann. Mit einer großen Detailverliebtheit schafft es Bianca Stigter, jede winzige Information mit Bedeutung aufzuladen. Am spannendsten wird es, wenn sich der Schleier der Vergangenheit immer weiter öffnet und die Stadt sowie deren Historie tatsächlich benannt werden. 150 Menschen tauchen in dem Film auf – 11 von ihnen können am Ende namentlich identifiziert werden. Zwischen der jiddischen Musik entsteht eine lebensnahe Beziehung zu ihrer einstigen normalen Existenz, die einmal Wirklichkeit war, bevor die Welt, in der sie lebten, schnell und gnadenlos von anderen Menschen zerstört wurde. Noch einmal rattert das Bildmaterial, dann bricht das Band ab. Und setzt doch ein Denkmal als mediale Statue zwischen Leben und Vergänglichkeit.


»Three Minutes: A Lengthening« lief auf dem IDFA – Internationalen Dokumentarfilm Festival Amsterdam und war hier für den Beeld en Geluid IDFA ReFrame Award nominiert.


© Tina Waldeck 2021