––––––– Resilienzfilm –––––––
[Ich will alles. Hildegard Knef]
Luzia Schmid | Deutschland 2025
Applaus erklingt, als sie in den alten schwarz-weiß Bildern die Bühne betritt. Für mich soll es rote Rosen regnen, singt Hildegard Knef souverän, mit einem Lächeln im Gesicht und in der Stimme. Doch danach wird die Zeit davor gezeigt: Ein Lautsprecher pfeift. Fehleranalyse für die perfekte Einstellung. Die Offstimme erzählt aus ihrer Perspektive: Warum macht sie das eigentlich, warum kann sie nicht einen normalen Job haben? Nur für ein höhnisches Gemeckere aus der Presse am Ende.
Lebenslänglich ersehnte Gemeinsamkeit
Ist es ein maskuliner Sieg, wie es die Sprecherin verkündet? Hildegard Knefs Tochter Christina "Tinka" Gardiner erzählt, wie sie keinen normalen Alltag hatten. Immer arbeiten, stetig voll dabei sein und durchgängig präsent sein. Dazu die Zuordnungen der Männer in den Talkshows, Männer, die Dinge in sie hinein interpretieren. Soll er ihren Mann über sie befragen, fragt der Interviewer nach einer ausformulierten Einrahmung ihres Wesens – obwohl er sie nicht zu sehen weiß. Sie wehrt elegant ab, sie hat das Recht, sich jederzeit zu ändern und anzupassen. Ein Mensch kann durch viele Lebensphasen gehen, betont sie selbstbewusst.
Sie weigert sich, ihre Offenheit zu verlieren, hält sich Fluchtwege offen und will präzise Wörter für ihren Ausdruck finden. Mit Rückblicken auf die Bomben des Zweiten Weltkriegs: Sich selbst innerlich ausgebombt fühlen und doch nach Schönheit sehnen. Wenn man einen Krieg überlebt, fühlt sich danach nicht alles ein bisschen leichter an? Mit der Ankunft der Alliierten wurden ihre Ruinen auch nicht wieder zu einem Zuhause: Hildegard lernt Kurt Hirsch kennen, einen jüdischen Amerikaner. Sie dreht den ersten deutschen Film nach dem Krieg: Die Mörder sind unter uns. Sie wird zum ersten deutschen Nachkriegs-Filmstar. 1948 wird ihr Erfolg immer mehr zu einem Schutzschild, einem Burggraben. Drei Jahre in Amerika, unter Vertrag bei David O. Selznick, erreicht sie nichts, bis Willi Forst sie für Die Sünderin zurück nach Europa holt.
Ab jetzt wird aus Erfolg Verfolgung werden. In der deutschen Nachkriegszeit scheint die Moral in den beheizten Betten wieder zum Leben erwacht zu sein: Und sie wird zu einer ethischen Atombombe. So titelt zumindest eine Zeitung über den Moment, als ihr Körper durch den Blick eines Malers bestaunt wird. Fünf Jahre nach Dachau, Auschwitz und Treblinka, sinnt sie später in ihren Notizen, verursachen diese sechs Sekunden Nacktheit Proteststürme, brennende Kinos, zerbrochene Scheiben und beschmierte Plakate. Wo waren diese Aufstände nur in den Kriegsjahren zuvor gewesen?
FAZIT
Es wird nicht chronologisch erzählt in diesem Film, denn manche Dinge erzählte auch Hildegard Knef erst sehr spät in ihrem Leben, so wie von ihrer Beziehung zu "EvD", Ewald von Demandowsky, 1944, Produktionschef der Filmfirma Tobis unter Propagandaminister Goebbels. Die Chansons verarbeiten, verschieben die Grenzen durch Notwendigkeit und setzen den passenderen Rahmen. Das Schreiben, auch von ihren Büchern, als Formen von Selbstermächtigung. Die harmlose Mitte lag ihr nie und eigentlich ist dieses Biopic zu kurz für ein Leben, welches niemandem etwas schuldig geblieben ist. Und wo das Gefühl nachhallt, dass dort immer noch viel verborgene weibliche Substanz aus der Zeit des deutschen Wiederaufbaus verschüttet liegt und geborgen werden könnte.
«Ich will alles. Hildegard Knef» feierte Weltpremiere auf der Berlinale 2025 in der Selektion Panorama Dokumente.
© Tina Waldeck 2025