[De Facto]

Selma Doborac | Deutschland 2023


Triggerwarnung: Vergewaltigung

In dieser Gewaltstudie sind die beiden Schauspieler im rezeptiven Monolog abwechselnd zu sehen. Die Umformung einer normativen Gesellschaft ist ohne Druck nicht möglich: Unter Normalität stellen sich halt alle etwas anderes vor. 

Wird ein paar mal Gewalt ausgeführt, dann fällt es auch leichter: Dann sind die Gegenüber keine echten Menschen mehr, – da ist nichts Persönliches, mit Verantwortung. Ganz unkompliziert geht Hass und Abwertung mit Alkohol oder Drogen. Sie sollten doch brave Soldaten sein: diszipliniert, kaltblütig und mit Opferbereitschaft. Ob sie jemanden aus Absicht nicht mehr grüßen, oder ob sie die gleiche Person in einem KZ bewachen, – das ist nur eine anerzogene Haltung.


Filmbild aus De Facto ©Selma Doborac | Deutschland 2023
Filmbild aus De Facto ©Selma Doborac | Deutschland 2023

Radikal Böse, was soll das überhaupt sein – man kann sich nicht radikalisieren, das ist Unsinn. Der Mensch wird nicht böse geboren, er wird böse gemacht. Aber nicht von ihm: Die Soldaten selbst hatten sich in die Abgründe begeben. Jeder ist für sich selbst verantwortlich. Und er hat ihnen als Führung nur die Bühne, die Vorgehensweise an die Hand gegeben, – die Methoden und wie sie ausgeführt werden, das war nicht sein Problem.

Sie hätten auch nein sagen können

Die Erziehung, und damit der Mut etwas zu tun, wird aus den Umständen geboren. Alle erschaffen Zeitgeschichte, – es hängt nicht nur an einem einzelnen Staubkorn in der Masse. Sie mussten hart durchgreifen. Am Anfang sollten alle Menschen in die Gleichförmigkeit hinein geformt werden: Alle menschlichen Attribute wurden entfernt. Eine moralische Vernichtung. Wichtig war auch eine abwertende Ansprache, um Unterwerfung und Gehorsam zu kreieren. Alle sind gleich viel wert: nämlich nichts.

Er gab ihnen zwar nicht vor, zu vergewaltigen, aber wenn sie ihren Penis als Waffe einsetzten, dann nur, weil sie auch hiermit die Menschenwürde brechen wollten. Also: Mit einer guten Motivation. Was im Wege stand, musste eliminiert werden, egal wie. Dass sie nicht mitdenken wollten, – das kann er sogar verstehen. Bei Kindern war es eine hohe Schwelle, die überwunden werden musste: Oft im Rausch, wie ferngesteuert. Dieses Nacherleben, wenn man es erzählt, – er bewundert jene, die bis jetzt dabei geblieben sind.


Filmbild aus De Facto ©Selma Doborac | Deutschland 2023
Filmbild aus De Facto ©Selma Doborac | Deutschland 2023

FAZIT

Gewollte Ausdruckslosigkeit: Zwei Stunden Monologe der beiden männlichen Schauspieler (Christoph Bach und Cornelius Obonya), die Gedankenfragmente aus Gerichtsurteilen, Täterberichte und Zeugenaussagen – bisweilen mit philosophischen Schnipseln – miteinander verflechten und sie inhaltlich in den von Heimo Zobernig entworfenen, künstlerischen Raum hineinwerfen, – wo die Natur im Hintergrund zu den Machenschaften der Menschheit immer nuanciert mitklingt.

Ziehen sich die ersten Minuten auch, – im spontanen Schreck der emotionalen Abgestumpftheit –, bekommen die kleinen und großen Tiefpunkte der inhumanen Existenz, bis hin zu den Traumgespinsten eines neuen Volkes, eine ganz eigene, abstoßende Faszination. Nun sitzen wir da, gegenüber, sind die Zuschauenden und werden jene sein, die richten und das sachlich erzählte in die anfangs eingeleiteten Normalität einordnen müssen. Die einstige grausame Verantwortungslosigkeit im Befehl, – nur Erzählungen aus vergangener Zeit?


«De Facto» lief auf der Berlinale 2023in der Sektion Forum und konnte hier den Caligari-Filmpreis der Kommunalen Kinos gewinnen.


© Tina Waldeck 2023