––––––– Resilienzfilm –––––––



[Der Helsinki Effekt]

Arthur Franck | Finnland 2025


Die Texte überlagern sich mit den gesprochenen Worten, während die Zeitgeschichte zu einem nervösen Ticken wird. Menschen eilen im Schnelldurchlauf durch Ost- und Westdeutschland, durch die ehemalige Sowjetunion, durch ihre geschichtlichen Etappen. Der Filmemacher lässt das Bild einfrieren, um sich geschichtlich zu orientieren, denn in diesem einen, kurzen Moment sammelte sich der politische Blick einer ganzen Welt in seiner Heimatstadt: Von 1973 bis 1975 trafen sich 27 kapitalistische und 8 sozialistische Staaten zur KSZE-Konferenz in Helsinki, um über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa zu diskutieren. Was konnte da schon geschehen?

Slow-Diplomatie in zwölf Kapiteln

Der Filmemacher war neun, als die Berliner Mauer fiel, und er ahnte noch nicht, wie das alles miteinander verwoben war und wie, mit diesem sogenannten Butterfly-Effekt, eine kleine Handlung zu einer großen Auswirkung führen konnte. Heute stellt er seine Fragen ganz zeitgemäß direkt an Leonid Brezhnev (ehemaliger Generalsekretär der Sowjetunion) und Henry Kissinger (ehemaliger Staatssekretär der Vereinigten Staaten von Amerika), deren Worte mit KI-Stimmen, auch anhand englischer Transkripte, nachgesprochen werden. Auf Englisch, auch wenn Leonid Brezhnev, immer mit Dolmetschern reisend, kein Englisch sprechen konnte: So beginnt die weiterführende Ironie im zwischenmenschlichen Verständnis, welche wieder neue (genauso wenig vorhersagbare) Auswirkungen haben wird.


Filmbild aus Der Helsinki Effekt © Arthur Franck | Finnland 2025
Filmbild aus Der Helsinki Effekt © Arthur Franck | Finnland 2025

In den Archivaufnahmen wird eine betont gute Laune mit lachenden Gesichtern aufgelegt. Hinter dem finnischen Präsidenten Urho Kekkonen, welcher das Selbstbewusstsein hatte, alle diese Machtinhaber einzuladen, fällt die Tür ins Schloss. Leonid Brezhnev wollte noch einmal einen Meilenstein in seiner Karriere erreichen, bevor es zu spät war. Doch es gab zu diesem Zeitpunkt genug Leid und politische Gefangene in den jeweiligen Ländern: Kritisch montiert der Regisseur Personen an Ketten dagegen, die zu peitschenden Bässen laufen müssen. Alle Nationen in Europa sollen in Frieden leben, erklärt Brezhnev dabei bedeutungsschwanger und dachte vielleicht, dass diese Konferenz sowieso keine Auswirkungen für „sein“ Land haben würde. Aber er lag falsch: Die daraus folgende Schlussakte löste weltweit eine Welle an Selbstbewusstsein für die breite Masse aus – und beschleunigte den Zerfall der Sowjetunion.


FAZIT

Die KI belebt als Stilelement den Film deutlich, zusammen mit dem spielerischen und experimentellen Ansatz im 4:3-Format. Dem Filmemacher gelingt ein humorvolles Zeitdokument, welches die Inhalte nur bedingt ins Lächerliche zieht (insofern sie nicht offensichtlich lächerlich sind), aber schafft es, die Absurdität gewisser inszenierter Aktionen im politischen Raum mit diversen Spitzen zu unterlegen. Dabei erinnert die Umsetzung manchmal an einen subtilen Humor von Jacques Tati, in der Montage vielleicht auch ein wenig an die Werke von Radu Jude: mit einem selbstbewussten und gesellschaftskritischen Blick auf die Umstände, in denen sich Menschen in Abhängigkeitsverhältnissen bewegen, um diese nicht nur ästhetisch aufzuzeigen, sondern auch inhaltlich kritisch zu kommentieren. Öffentliche Fragmente, aber auch geheime Protokolle, die noch nie so gesammelt in die Öffentlichkeit gebracht wurden, werden damit zurück in das kollektive Gedächtnis geholt – mit den Auswirkungen bis in die heutige Zeit hinein, bis hin zu Wladimir Putin.


«Der Helsinki Effekt» lief in der deutschen Premiere auf dem DOK.fest München 2025.


© Tina Waldeck 2025