[Giado – Holocaust in the Desert]

Golan Rise & Sharon Yaish | Israel, Italien 2023


Durch die Wüste in Libanon läuft eine animierte Person. Eine reale Frau streicht mit rot lackierten Fingernägeln über einen alten Briefumschlag. Auch ein Mann schaut darauf: im Inneren als Brief ist das Tagebuch – 80 Jahre alt – von ihrem Vater, dem Großvater der Filmemacherin. Es fühlt sich an wie ein verbotenes Buch, wenn sie die Umstände bedenken, unter denen es geschrieben wurde: im KZ Giado.

Es sind nicht nur Geschichten, es sind Schicksale realer Menschen

Seine Erzählung beginnt mit dem Kennenlernen seiner zukünftigen Frau Bruria. Die Handschrift mit den Wörtern wird zu dem Fundament der Animation, die hoffnungsvoll in das Leben hineinführt. Und auch wenn seine Mutter oft von Israel erzählte, waren sie in Bengasi, einer libyschen Hafenstadt unter italienischer Besatzung glücklich, – sie hatten genug zu essen, zu trinken und konnten ins Kino gehen.


Filmbild aus Giado – Holocaust in the Desert ©Golan Rise & Sharon Yaish | Israel, Italien 2023
Filmbild aus Giado – Holocaust in the Desert ©Golan Rise & Sharon Yaish | Israel, Italien 2023

Alte Film-Aufnahmen zeigen die Ankunft von Mussolini. „Allah, protect the Duce“, riefen die Chöre, als dieser seine Kolonien besuchte und bevor er den Krieg ausrief. Ganz romantisch schaute sich das junge Paar die fallenden Bomben aus der Distanz an: War es nicht wie ein Feuerwerk? An Pessach riefen die Nachbarn, sie sollten fliehen: „Die Italiener führen ein Programm durch.“ Zu diesem Zeitpunkt wussten sie schon, was mit der jüdischen Bevölkerung in Osteuropa passierte, aber wohin hätten sie fliehen sollen – in die Wüste hinein?

So wurden alle auf einen großen Laster geladen und in das KZ Giado gebracht. In große Hütten, in denen sie ihre Kleidungsstücke als Matratzen und Decken nutzen mussten. Es gab kaum Wasser, keine Möglichkeit, sich zu waschen – so breiteten sich schnell Krankheiten aus. Immer mehr Laster mit Menschen kamen, viele hatten Angstzustände. ›Es ist unmöglich, die Situation mit so wenig Papier und Tinte zu beschreiben‹, stellt er in seinem Tagebuch fest. Unter diesen Umständen erblickt seine erste Tochter Ada die Dunkelheit dieser Welt – und die Mutter wird später in der Familie nie erzählen, was mit der großen Schwester passiert ist.



FAZIT

Der Holocaust – diese Bezeichnung wird oft mit den europäischen Juden in Verbindung gebracht. Um so wichtiger ist es, den Blick zu öffnen: Nicht nur für das Leid „der Juden“, sondern für das Leid, das machthungrige Menschen jenen Menschen antun, die einfach nur ein menschenwürdiges Dasein führen wollen – und anstatt dessen zu Spielbällen in gesellschaftlichen Strukturen werden. Das Schriftstück des Vaters – in den Animationen liebevoll gestaltet – wird zusammen mit den Original-Filmausschnitten dieser Ära sowie den persönlichen Interviews – besonders mit dem Fragment der Mutter am Ende – zu einer aufwühlenden Aufarbeitung von verdrängenden Schmerzen. Und zu einem Sinnbild darüber, wie sehr diese noch Generationen übergreifend nachhallen.


«Giado – Holocaust in the Desert» lief auf dem Jerusalem Film Festival 2023.


© Tina Waldeck 2023