[Jackie the Wolf]

Tuki Jencquel | Deutschland, Frankreich 2023


Sie soll nicht in die Kamera schauen, sondern einfach durch das Bild gehen, – so weist der Sohn die Mutter an. Bald wird diese 75 Jahre sein – und nein, sie hat keine Angst vor dem Tod. Vor ihrer Geburt war sie auch Millionen von Jahren nicht da: Also hat sie beschlossen, im Januar 2020 ihr Dasein wieder zu beenden.

(K)ein Grund, da zu sein und da zu bleiben?

Familienbilder hängen an der Wand und zeigen Aufnahmen von ihr als Kind. Sie erinnert sich nicht an diese Zeit und irgendwann werden die jetzige Erinnerung auch gehen. Zärtlich umarmt sie ihre Enkeltochter. Kann sie nicht froh und dankbar sein, so viel erlebt zu haben und einen friedlichen Tod sterben zu dürfen? Und nicht aufgrund einer schrecklichen Krankheit oder eines Terroranschlages abrupt aus dem Leben gerissen zu werden? 


Filmbild aus Jackie the Wolf ©Tuki Jencquel | Deutschland, Frankreich 2023
Filmbild aus Jackie the Wolf ©Tuki Jencquel | Deutschland, Frankreich 2023

Ein friedlicher Tod ist keine Tragödie

Den mehrteiligen Romanzyklus ›Die Wege der Freiheit‹ von Sartre und besonders ›Die Zeit der Reife‹ hat sie geliebt und wollte in einem nihilistischen Verständnis viel Spaß haben und jung sterben. Doch ihre Kinder haben sie von diesen Gedanken abgelenkt. Sie könnte morgen sterben, aber: Ihr nächster Enkel wird im November geboren, also verschiebt sie den Termin vielleicht noch einmal. Therapie ist auch immer eine gute Idee, erklärt der Sohn. Glaubt er etwa, sie spinne oder habe Depressionen? Sterben ist halt sterben, findet sie – und bewahrt das Mittelchen dafür in einer Matroschka in ihrer Wohnung auf.



FAZIT

Alles dreht sich um die Mutter des Filmemachers, die ein Buch über ihren Wunsch zu sterben geschrieben hat – und damit in Frankreich eine große Kontroverse auslöste. Aber indirekt geht es auch um den Sohn und die Enkelkinder, denn wie verhält man sich in der Familie mit dieser beklemmenden Offenheit einer geliebten Person? Mit dem Gefühl, dass die Mutter, die Großmutter stetig nicht mehr da sein könnte? Die sachlichen Aussagen wie: Der größte Liebesbeweis wäre es, ihr zu helfen, friedlich zu gehen, lösen in den Zuschauenden ein mulmiges Gefühl aus. Fragen nach Egoismus, psychischer Gesundheit und philosophischen Glaubensansätzen hallen nach – und ob jeder Wunsch ein Wunsch ist, den man erfüllen sollte. 


«Jackie the Wolf» lief auf dem DOKfest München 2023 und war dort im Hauptwettbewerb DOK.international für den VIKTOR Award nominiert.


© Tina Waldeck 2023