[Polish Prayers]

Hana Nobis | Polen, Schweiz 2023


Ein Kreuz wird in einen Baum hinein geschlagen. Für die guten christlich konservativen Werte – die Gruppe aus polnischen Jugendliche begutachtet ihr Werk. Auf der europäischen Flagge stehend, zieht sich Antek um, bevor sie in Abendgarderobe Pfeife rauchen, über die „vorrevolutionäre Weiblichkeit“ diskutieren und Wiener Walzer tanzen, – auch wenn ihm Lindy Hop und das Amerika der wilden 20er-Jahre besser gefallen würden.

„Der soziale Kern“

Aber die Ehe ist für Mann und Frau bestimmt, da ist er sich in seinem Freundeskreis mit allen einig. So demonstrieren sie gegen die Rechte queerer Menschen: Die sollten lieber Gott um Vergebung bitten. „Heute Homosexualität, morgen Pädophilie“ und „Homosexuelle Extremisten“ steht auf ihren Schildern. Wer soll die polnischen Werte beschützen, wenn nicht sie?


Filmbild aus Polish Prayers ©Hana Nobis | Polen, Schweiz 2023
Filmbild aus Polish Prayers ©Hana Nobis | Polen, Schweiz 2023

Alle stört doch das Verhalten von „denen“, den Queeren, aber nur wenige tun etwas dagegen: Also müssen sie, als Abbild der polnischen Jugend, mit gutem Beispiel vorangehen. Die Mutter schüttelt im Hintergrund bei den Aussagen des Sohnes nur mit dem Kopf. Sein Bruder sieht mit den langen Haaren aus wie Ozzy Osbourne. Und in ein paar Jahren ist die sexuelle Orientierung egal, – da sind sie aufgrund des Klimawandels sowieso tot, zuckt die Schwester pragmatisch mit den Schultern.

Wie sehr verformt sich die eigene Identität?

Vier Jahre begleitete die Filmemacherin den pubertierenden Jungen. In der Zeit lassen sich seine Eltern scheiden und erste Risse durchziehen dessen Weltbild: Viel hat er darüber nachgedacht, ob er Gott wirklich liebt und sich dagegen entschieden. Die Beziehung mit seiner ersten Freundin endetet noch während der Fastenzeit aufgrund „ideologischer Differenzen“, mit der Nächsten raucht er Marihuana. Eigentlich sollten sie ja keinen Sex vor der Ehe haben: Aber mit ihr hat er herausgefunden, dass das „gar nicht so übel“ ist. 



Die brave Brille weicht und ein Drei-Tage-Bart kommt, fleißig macht er Kraftsport und trinkt Proteinshakes. Auch der Freundeskreis verändert sich in der Uni. In seinem Zimmer nimmt er die Regenbogenflagge ab, als seine Mutter ihn besuchen kommt. Er selbst wurde geboren, als sie studierte, erzählt sie bemerkenswert liberal: Stell dir vor, wer du sein könntest und arbeite zielstrebig darauf hin. „Was auch immer dich gut fühlen lässt.“

FAZIT

Das Radikalste im Leben sind die Veränderungen, die Menschen durchlaufen. In der Darstellung so extrem von rechts nach links umschwenkend, wurde dieser Film an vielen Stellen schon als „unglaubwürdig“ diskutiert. Anstatt „traditionelle Werte zu bewahren“ wird im Verlauf gefordert, dass Kirche und Religion keinen Einfluss mehr auf die Menschen haben sollen: Freiheit statt Unterdrückung. Dieser Umschwung im Film entspricht in vielen Gesellschaften fast nicht mehr dem aktuellen Zeitgeist – und verdient gerade deswegen eine lobende Erwähnung, weil er die Hoffnung aufzeigt, dass Einstellungen sich in kleinen wie auch in großen Zusammenhängen immer auch wieder verändern können.


«Polish Prayers» lief im Wettbewerb des goEast – Festival des mittel- und osteuropäischen Films 2023


© Tina Waldeck 2023