[Reproduktion]

Katharina Pethke | Deutschland 2024


Naturgeräusche hüllen die Hochschule für bildende Künste in Hamburg ein. Als die Filmemacherin das Gebäude zum ersten Mal betritt, fühlt es sich an, als hätte sie etwas völlig Einzigartiges für sich entdeckt. Doch bereits Mutter und Oma haben vor ihr dort studiert. Es entsteht eine autobiografische Studie über Frauen, Räume und Kunst.

Sichtbarkeit beginnt mit den Privilegien

Lange Blicke in das Treppenhaus und die Aula der Hochschule zur experimentellen Musik. Unchronologisch wird die Handlung ineinander verflochten. 1946 war der Berufswunsch von Rosemarie Schramm Gebrauchsgrafikerin. Die Kunst soll zum Wiederaufbau des Landes dienen. Fotoalben werden durchgeblättert. Doch sie lernt Hans kennen, der im Krieg als Funker gedient hat. „Er möchte die Heirat.“ Das Buch – und somit das Kapitel Kunst – wird energisch zugeschlagen.

Ihr erstes Kind verliert sie im 5. Monat. Kurz danach bekommt sie Maria, die zukünftige Mutter der Filmemacherin. Sie will nur zwei Kinder, „mehr schafft sie nicht“ – am Ende werden es vier. Vereinzelte Blumenbilder – dann überwiegt das Essen kochen, abwaschen und einkaufen. Marina Abramović hatte in ihrer Karriere drei Abtreibungen: Kinder zu bekommen, wäre eine Katastrophe für ihre Arbeit gewesen. Nachdenklicher Blick auf «Die ewige Welle» von Willy von Beckerath, welches seit 1918 die Aula der Hochschule schmückt – und worauf nur der auratische Mann ins Licht tritt. Ein Symbolbild, das nicht nur von Marina Abramović im neuen Kontext rezipiert werden wird.


Filmbild aus Reproduktion ©Katharina Pethke | Deutschland 2024
Filmbild aus Reproduktion ©Katharina Pethke | Deutschland 2024

FAZIT

Immer wieder fährt die Kamera bedacht durch die Gänge, – und verdeutlicht, wie stark Geschichte sich wiederholen kann. Dabei formen besonders die von der Filmemacherin eingesprochenen Texte aus dem OFF den poetischen Zusammenhang, wo die ästhetische Visualisierung sich sonst so manches Mal verlieren könnte. Es wird sich nicht nur auf die drei Generationen der autobiografischen Erzählung konzentriert: Dabei wäre allein die Erzählung über die emanzipierte Lebensweise von Mutter Maria bereits ein eigenes Filmdokument wert gewesen.

Viele bekannte Künstlerinnen werden eingewoben, so wie Elena Luksch-Makowsky, welche nach Hamburg kam, als ihr Mann an der Hochschule zum Professor berufen wurde. Die dort, als erste Frau der Wiener Sezession, die Skulptur „Frauenschicksal“ entwarf. An solchen Stellen, in denen der Film in einer sanften Idealisierung versinkt, werden die Leerstellen im Rahmen des Zweiten Weltkrieges besonders offensichtlich. So sitzt bei einer Filmvorstellung in Berlin der Enkel von Elena Luksch-Makowsky im Publikum und spricht offen aus, dass seine Großmutter eine Antisemitin gewesen sei – und diese Einstellung immer auch in ihren Schlüsselwerken mit rezipiert werden sollte.

Doch eine kritische Reflexion findet (auch) in diesem Film nicht statt. Deutlich wird dies ebenfalls in der Randerzählung um die Geburtsklinik, welche viel filmischen Raum bekommt, denn Maria wird dort ihre älteste Tochter – die Filmemacherin – auf die Welt bringen: In dem Gebäude, das mittlerweile an die Hochschule angegliedert und aus dessen ehemaligem Kreißsaal das Kino geworden ist. Aber das dort im Zweiten Weltkrieg Zwangssterilisationen und -abtreibungen an Frauen durchgeführt worden sind – was als Randnotiz für das Sujet von Frau und Mutterschaft durchaus einen weiterführenden Blick hätte öffnen können – wird erneut verschwiegen. Mit diesem Wissen jedoch bekommen die bedachten Kamerafahrten durch eben jene Räume einen etwas schalen Beigeschmack – in der sich wiederholenden Geschichte.



«Reproduktion» lief als Weltpremiere bei den 74. Internationalen Filmfestspielen Berlin 2024 im Forum.


© Tina Waldeck 2024